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Wie beweise ich, dass eine anerkannte Regel der Technik vorliegt und wie erkenne ich sie?

Wie beweise ich, dass eine anerkannte Regel der Technik vorliegt und wie erkenne ich sie?

von Frank Zillmer   -   24. April 2019
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Wie erkennt und findet man anerkannte Regeln der Technik?

Wie beweise ich, dass eine anerkannte Regel der Technik vorliegt und wie erkenne ich sie?


Für eine „anerkannte Regel der Technik“ müssen zwei Voraussetzungen vorliegen:


  • die Anerkennung in der Wissenschaft und
  • Bekanntheit sowie Anerkennung und Durchsetzung in der Praxis.

Ein Verzeichnis über anerkannte Regeln der Technik, das man einfach einsehen könnte, gibt es leider nicht. Das macht es Planern, Handwerkern und selbst Sachverständigen schwer, eine anerkannte Regel der Technik zu identifizieren.

Zu den anerkannten Regeln der Technik gehören grundsätzlich die


  • DIN – Normen einschließlich der VOB/C (die ATB der VOB/C sind ein Teil der DIN)
  • einheitliche technische Baubestimmungen (ETB),
  • VDE- und VDI-Richtlinien,
  • Regelungen zum Arbeitsschutz auf Baustellen (RAB),
  • Unfallverhütungsvorschriften,
  • Vorschriften der Berufsgenossenschaften,
  • Normen des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton,
  • Bestimmungen des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs (DVGW),
  • nach § 3 Landesbauordnung eingeführte technische Regeln (für Schleswig-Holstein einsehbar als Liste beim Internetauftritt des Innenministeriums)
  • und andere.

Sind DIN-Normen immer annerkannte Regeln der Technik?


Nein, die vorgenannten Normen und auch DIN-Normen sind nicht stets mit den anerkannten Regeln der Technik identisch. Anerkannte Regeln der Technik können DIN-Normen „überholen“ und weitergehende Anforderungen stellen:

Beispiel:              Schallschutz OLG München, Urt. v. 19.5.2011, 9 U 4198/08, BauR 2012, 26:


Das Schalldämmaß, das nach DIN 4109 Tabelle 3 (1989) entspricht, bietet lediglich Schutz vor unzumutbaren Belästigungen. Es entspricht aber nicht der vereinbarten Soll-Beschaffenheit, wenn ein gehobener Komfort vereinbart wurde. Der gehobene Komfort gilt dann auch für den Schallschutz. Geschuldet ist dann ein erhöhter Schallschutz wie er sich aus dem Beiblatt 2 zur DIN 4109 ergibt. Werden weitergehende Schallschutzanforderungen an Bauwerke gestellt als ein Schutz vor unzumutbaren Belästigungen, sind die Schalldämmwerte der DIN 4109 von vornherein nicht geeignet, als anerkannte Regeln der Technik zu gelten.

Wenn bei einer Werkleistung DIN-Normen nicht eingehalten werden, kommt es dadurch zu einer Gefahrenerhöhung[1]. Das führt zu der Vermutung, dass der Mangel bei Beachtung der DIN-Normen vermieden worden wäre und auf die Verletzung der DIN-Normen zurückzuführen ist[2]. Das gilt für Planungsleistungen ebenso wie für Bauleistungen.

Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Kann der Bauunternehmer zum Beispiel am konkreten Objekt zeigen, dass eine nachteilige Entwicklung nicht eingetreten ist, kann der Nachweis durch diese praktische Bewährung gelingen. Die Normen dienen keinem Selbstzweck: Ihre Einhaltung soll nachteilige Zustände (z.B. schlechten Schallschutz) oder nachteilige Entwicklungen (z.B. Auffeuchtung von Bauteilen durch eindringendes Regenwasser oder durch bauphysikalische Prozesse) verhindern. Wird der Zweck auch durch die abweichende Konstruktion erfüllt, kann die Annahme eines Mangels widerlegt werden. 


[1] Auffassung des OLG Düsseldorf (BauR 2012, 1259)

[2] ebenso OLG Brandenburg, Urt. v. 18.6.2009 – 12 U 164/08 (BauR 2009, 1633)

Änderungen nach Vertragsschluss


Der Auftragnehmer muss den Auftraggeber darauf hinweisen, wenn Änderungen von DIN-Normen oder allgemein anerkannten Regeln der Technik nach Vertragsschluss eingetreten sind, weil sein Werk bei Abnahme den aktuellen Regeln entsprechen muss. Verlangt der Auftraggeber dann die Einhaltung, muss er in der Vergütungsvereinbarung nicht enthaltene Leistungen zusätzlich vergüten[1]. Der Auftraggeber kann von einer Verzögerung und Verteuerung aber auch absehen[2]. Wenn der Auftraggeber dann an der „alten, ursprünglich vereinbarten“ Durchführung festhält, dann entspricht das Werk bei der Abnahme zwar nicht den aktuellen Regeln; dem Planer bzw. Unternehmer, der seiner Hinweispflicht nachgekommen ist, kann dann aber kein Mangel vorgeworfen werden.

Geänderte DIN-Normen führen zudem dazu, dass der „neuen“ Norm Bekanntheit und Anerkennung in der Praxis anfangs fehlen. Trotzdem werden sie regelmäßig wie anerkannte Regel der Technik behandelt, weil technische Regelwerke wie antizipierte Sachverständigengutachten angesehen werden: Sie binden die Gerichte nicht, dienen aber als Orientierungshilfe.


[1] § 1 Abs. 3 oder Abs. 4; § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B

[2] BGH Urt. v. 14.11.2017, VII ZR 65/14

Weiterentwicklung der anerkannten Regeln der Technik


Das Problem ist somit, dass sich die anerkannten Regeln der Technik -wie die Technik selbst- ständig weiterentwickeln und schriftliche Fassungen veralten können, ohne dass man es ihnen ansehen könnte.

In der Praxis müssen Sie die Entwicklung daher ständig im Blick behalten und den Bauherrn darauf hinweisen, welche DIN-Normen und sonstigen technischen Regeln es gibt, welche Entwicklungen es in den Bereichen Baustoffe, Technische Anlagen, Baumethoden usw. gibt und welche Risiken mit der einen oder anderen Lösung verbunden sind. Hierbei müssen Sie die strenge Rechtsprechung zu Bedenkenanzeigen zu berücksichtigen:

Die Gewährleistung ist mit einer Bedenkenanzeige nur für diejenigen Risiken ausgeschlossen, über die der Auftragnehmer nachweisbar (!) so umfassend aufgeklärt hat, dass der Bauherr in der Lage war, eine fundierte Entscheidung über das Eingehen dieser Risiken zu treffen.

Grade bei neuen Normen, Baustoffen, Technischen Anlagen, Baumethoden etc. ist aber nur schwer feststellbar, welche Risiken sie bergen und wie erprobt und anerkannt sie schon sind. Eine sich anbahnende Entwicklung kann man erkennen, wenn Entwürfe von DIN-Normen (Gelbdrucke) veröffentlicht werden. Die Entwicklung der DIN 18195 in jüngster Zeit zeigt aber, dass selbst hier Vorsicht geboten ist: Die endgültige DIN-Norm kann später auch vom Gelbdruck abweichen.

Gibt es für neue Baustoffe, Technische Anlagen, Baumethoden etc. noch keine anerkannten Regeln der Technik, ist besondere Vorsicht geboten: Als Mangel bei Planung und Ausführung gilt es schon, wenn eine Ungewissheit über die Risiken des Gebrauchs besteht[1].

Im Zweifel hilft nur ein Sachverständigengutachten, das klärt, welche technische Regel für ein bestimmtes Problem anerkannt ist.


[1] OLG Hamm, BauR 2006, 861; OLG München, BauR 1984, 637

Das Wichtigste in Kürze


- Es müssen für „anerkannte Regeln der Technik“ zwei Voraussetzungen vorliegen: 
  • die Anerkennung in der Wissenschaft und
  • Bekanntheit sowie Anerkennung und Durchsetzung in der Praxis.

- Es gibt kein Verzeichnis über die anerkannten Regeln der Technik

- Probleme
  • DIN Normen und anerkannte Regeln der Technik sind nicht immer identisch
  • Bei nicht eingehaltenen anerkannten Regeln der Technik wird ein Schaden zunächst automatisch auf die Verletzung der Regel oder DIN Norm zurückgeführt

- Bei Änderungen nach Vertragsschluss besteht
  • eine Informationspflicht des Auftragnehmers gegenüber dem Auftraggeber
  • ggf. ein Anspruch auf Anpassung der Vergütung des Auftragnehmers
  • ein höheres Risiko, weil noch keine oder wenig Erfahrungswerte vorliegen
- Planer und Handwerker müssen ihre Auftraggeber beraten
  • sie müssen sich mit der technischen Entwicklung auseinandersetzen und
  • sie müssen die Entwicklung laufend im Blick behalten
- im Zweifel einen Sachverständigen fragen, der mit seiner Expertise das Risiko übernimmt

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