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#008 Erste Entscheidungen nach dem Urteil des EuGH zur HOAI

#008 Erste Entscheidungen nach dem Urteil des EuGH zur HOAI

von Frank Zillmer   -   26. September 2019
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Können Architekten eine Vergütung in Höhe des Mindestsatzes mit Hilfe einer Klage erreichen, obwohl weniger vereinbart gewesen ist (Aufstockungsklage)?

Mit dem Urteil vom 4.7.2019 hat der EuGH (Az. C 377/17) das Preisrecht der HOAI für europarechtswidrig erklärt, soweit die Festlegung von Mindest- und Höchstsätzen es verbietet, Leistungen unter den Mindestsätzen und/oder über den Höchstsätzen abzurechnen.

Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) als solche ist damit aber ebenso wenig für rechtswidrig erklärt worden wie die so genannten Leistungsbilder, die die Tätigkeiten der Architekten und Ingenieure beschreiben. Die HOAI wird somit grundsätzlich weiterhin Bestand haben.

Mittlerweile liegen die ersten Urteile deutscher Gerichte vor, die sich mit den Auswirkungen des EuGH-Urteils auf die HOAI befassen. Der Verordnungsgeber hat auch erste Aktivitäten entfaltet. Eine Entscheidung des BGH zu den unterschiedlichen OLG-Entscheidungen gibt es jedoch noch nicht.

Wie zu erwarten, führt die Entscheidung des EuGH nicht dazu, dass deutsche Gerichte einheitliche Entscheidungen treffen.

Es gibt nun 2 verschiedene Auslegungsvarianten:


Variante 1

Keine Auswirkung auf die Rechtslage 


Das Kammergericht Berlin und das OLG Hamm haben entschieden, dass das EuGH-Urteil bis zu einer Änderung der HOAI keine Auswirkung auf die Rechtslage in Deutschland hat.

Auswirkung Variante 1:


Mit dieser Argumentation können Architekten und Ingenieure sich gegen Forderungen von Auftraggebern wehren, wenn diese den Mindestsatz unterschreiten wollen: Es besteht für Auftraggeber das Risiko, dass der Mindestsatz trotzdem weiterhin durchgesetzt werden kann.

Variante 2

Die Entscheidung bindet auch deutsche Gerichte.


Das OLG Celle vertritt die Auffassung, dass die Entscheidung auch deutsche Gerichte bindet.

Auswirkung Variante 2:


Die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze fallen damit weg.

Fazit der uneinheitlichen Entscheidungen


Rechtssicherheit bietet erst ein BGH Urteil. Eine Entscheidung des BGH steht jedoch noch aus.

Es bleibt daher dabei, dass „Aufstockungsklagen“ nach dem Urteil des EuGH sehr risikobehaftet sind.



Zur Vertiefung:

Zu Variante 1

Das Kammergericht Berlin hat mit Beschluss vom 19.8.2019 (21 U 20/19) die umfangreich begründete Auffassung vertreten, dass das Urteil des EuGH deutsche Gerichte nicht daran hindere, Architekten und Ingenieuren weiterhin den Mindestsatz zuzusprechen:

 

Verlange ein Architekt den Mindestsatz, obwohl vertraglich weniger vereinbart sei, stünde das EuGH-Urteil dem nicht entgegen. Die abweichende Vereinbarung sei nach deutschem Recht nichtig, weil sie gegen deutsches Recht verstoße (§ 7 HOAI, § 134 BGB). Europäisches Recht stünde der „Aufstockungsklage“ des Architekten nicht entgegen, weil die Dienstleistungsrichtlinie zum einen nicht zwischen Privaten gelte, sondern Staaten verpflichte. Zum anderen führe auch eine dienstleistungsrichtlinienkonforme Auslegung der HOAI zu keinem anderen Ergebnis: Der Architekt habe kein Interesse daran, durch die Dienstleistungsrichtlinie davor „geschützt“ zu werden, den Mindestsatz geltend zu machen. In der „Aufstockungsklage“ wolle ja nicht der Architekt, sondern sein Auftraggeber den Mindestsatz zu Fall bringen. Der Auftraggeber sei durch die Dienstleistungsrichtlinie aber nicht geschützt.

 

Ähnlich argumentiert auch das OLG Hamm in seinem Urteil vom 23.7.2019 (21 U 24/18) und spricht den Mindestsatz zu, wenn eine den Mindestsatz unterschreitende Honorarvereinbarung getroffen worden ist.

Mit dieser Argumentation können Architekten und Ingenieure sich gegen Forderungen von Auftraggebern wehren, den Mindestsatz zu unterschreiten.


Zu Variante 2

Anders entschied das OLG Celle (14. Zivilsenat, Urteil vom 17.07.2019, 14 U 188/18) und Urteil vom 23.07.2019, 14 U 182/18). Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 4. Juli 2019 sei die Verbindlichkeit des HOAI-Preisrechts hinfällig geworden. Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI seien danach europarechtswidrig. Wegen des Anwendungsvorbehaltes des Europarechts seien die Gerichte verpflichtet, die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden [Verweis auf die Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 4. Juli 2019, Az. I B6-20614/001, sowie Steeger/Fahrenbruch, Praxiskommentar HOAI 2013, online-Fassung IBR, Stand 15.07.2019, § 7 HOAI Rn.2/1 mwN]. Die Entscheidung des EuGH C-377/17 sei auch in laufenden Verfahren umzusetzen. Da der EuGH für alle Mitgliedstaaten verbindlich das Recht der Europäischen Union auslege, gelte eine davon betroffene Norm nur nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Union, so wie sie durch die im EuGH-Urteil verkündete Auslegung zu verstehen sei, in allen Mitgliedstaaten (ebenso Steeger/Fahrenbruch aaO). Diese für die nationalen Gerichte bindende Auslegung des EU-Rechts wirke sich auf bestehende Vertragsverhältnisse aus, wenn dort in Abweichung des vereinbarten Honorars unter Bezug auf den HOAI-Preisrahmen ein Honorar in diesem Rahmen durchgesetzt werden soll. Demnach seien Honorarvereinbarungen nicht deshalb unwirksam, weil sie die Mindestsätze der HOAI unterschreiten oder deren Höchstsätze überschreiten. Infolge der EuGH-Entscheidung vom 04.07.2019 sei es von Rechts wegen nicht mehr zulässig, getroffene Honorarvereinbarungen an den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI zu messen. Honorarvereinbarungen, die das Preisrecht der HOAI ignorieren, seien daher unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr unzulässig (so auch Steeger/Fahrenbruch aaO). Damit sei der von dem Architekten behauptete Verstoß gegen das Preisrecht der HOAI in Form einer Mindestsatzunterschreitung obsolet geworden. Die Parteien hätten daher ein Pauschalhonorar grundsätzlich auch unterhalb der europarechtswidrigen Mindestsätze der HOAI vereinbaren dürfen. Eine unangemessene Benachteiligung des Architekten durch diese Vereinbarung im Sinne eines sittenwidrig niedrigen Honorars sei in dem zu entscheidenden Fall weder vorgetragen noch ersichtlich.

Eine Entscheidung des BGH steht noch aus. Es bleibt daher dabei, dass „Aufstockungsklagen“ nach dem Urteil des EuGH sehr risikobehaftet sind.

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